Fast vergessene Muffendorfer

Mit dem Gedanken: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ erinnert der Künstler Gunter Demnig seit 1997 mit seinen Stolpersteinen an Opfer des Nationalsozialismus. Das Projekt gilt als „das größte dezentrale Mahnmal der Welt“ [1]. Vor dem Eingang des letzten freiwillig gewählten Wohnortes verankern Delegierte eine Messingplatte mit dem Namen und den Lebensdaten im Boden – nicht von ungefähr muss man sich beim Lesen nach unten beugen/verneigen. Kritiker lehnen Stolpersteine ab, weil man sie auf dem Boden buchstäblich mit Füßen tritt. Ein Diskussionsthema?

In ganz Europa liegen inzwischen mehr als 110.000 solcher Stolpersteine. Die Stadt Bonn begann 2002, 60 Jahre nach der ersten Deportationswelle aus Bonn und Umgebung. Inzwischen erinnern 442 Stolpersteine auf Bonner Stadtgebiet an Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle, politisch Verfolgte, Euthanasieopfer und andere gebrannt markte Menschen. Zwei Steine gibt es auch in Muffendorf, in der Klosterbergstraße 20 und der Hauptstraße 42.

Sie erinnern auch daran, dass seit Jahrhunderten selbstverständlich jüdische MitbewohnerInnen in Muffendorf lebten. Die ältesten Hinweise stammen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. [2] Die Geschichten der beiden vom NS-Regime verfolgten Frauen, die jeweils aus Metzgerfamilien stammten, zeigen, wie jüdisches Leben über die Region hinaus vernetzt war. 

Am 12. 09.2024 wurde der Stein für Mathilde Dardenne (15.07.1867–5.12.1956) in der Hauptstraße 42 verlegt. Hier wohnte sie zuletzt, bevor ihr Leidensweg auf den von den Nationalsozialisten vorgegebenen Stationen begann. Sie war die Tochter des Metzgers Abraham Carl und Sarah Kanter aus Weilerswist und heiratete den Belgier Oskar Dardenne. Mit ihm blieb sie viele Jahre in Brüssel. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie 1928 zu ihrer älteren Schwester Julia Carl, der Witwe des Metzgers Benedikt Sommer (1848–1923) in die Muffendorfer Hauptstraße 42.

Von hier aus musste Mathilde Dardenne 1941 zunächst in das Haus der Familie Isaak (Friesdorfer Straße 92), dann 1942 nach Köln in die Cäcilienstraße 18-22 ziehen, einem Ghettohaus für vorwiegend ältere Jüdinnen und Juden aus dem Großraum Köln. Wie auch die Schwägerin ihrer Schwester, Janette (Jetta) Sommer (geb. Sondheimer) aus der Klosterbergstraße wurde sie 1942 vom Bahnhof Deutz in das Konzentrations- und Ghettolager Theresienstadt deportiert. Jetta Sommer kam im September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka und wurde dort ermordet.

Mathilde Dardenne überlebte. Ihre belgische Staatsbürgerschaft bewahrte sie vor dem Tod. Sie sollte gegen Devisenzahlungen freigelassen werden, musste jedoch drei Jahre lang in Theresienstadt ausharren. Am 8. Mai 1945 wurde sie befreit. Sie kehrte nach Muffendorf zurück und lebte bis zu ihrem Tod 1956 in der Klosterbergstr. 20, in dem Haus, das der Schwägerin ihrer Schwester, Janette (Jetta) Sommer, gehört hatte.

Janette Sondheimer (23.07.1866 –19.9.1942) stammte aus einer Metzgerfamilie im badischen Dorf Angeltürn (westlich von Bad Mergentheim). Sie heiratete den Metzger Bernhard Sommer aus Muffendorf.

Bernhard und Jetta Sommer bauten 1902 ein Wohn- und Geschäftshaus in der Klosterbergstr. 20 und betrieben dort eine Metzgerei. Bernhard Sommer kam aus der seit Generationen alteingesessenen jüdischen Metzgerfamilie Sommer (vermutl. Elfstraße 19). Diese Familie lässt sich bis 1764 in Muffendorf zurückverfolgen [3]. Beide Söhne aus der Elfstraße, Bernhard (Klosterbergstr. 20) und Benedikt (Hauptstr. 42), führten mit ihren Metzgereien den Traditionsberuf ihrer Familie fort, wie man es vermutlich auch von Bernhards beiden Söhnen erhofft hatte. Der eine fiel jedoch im Ersten Weltkrieg, der zweite, Leo Sommer, verließ Muffendorf Anfang/Mitte der 1920er Jahre, danach verliert sich seine Spur. 1924 übernahm Metzgermeister Peter Bell aus Arzdorf Haus und Geschäft in der Klosterbergstraße. Bernhard starb zwei Jahre später mit 77 Jahren; seine Frau Jetta Sommer blieb hier bis zu ihrer Deportation wohnen. 

Mathilde Dardenne zog nach ihrer Befreiung in das Haus der Sommers in die Klosterbergstraße 20, in die Metzgerei Bell (ab 1964 Metzgerei Isenberg), wo die Wurst-Gerüche ihrer Kindheit sie bis zu ihrem Tod 1956 noch einige Jahre begleiteten. 

Diese Darstellung fußt auf der Broschüre „Stolpersteine in Bonn 2024, Hrsg. von: Stadt Bonn/Kulturamt/Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum e.V. / Amt für Presse, Protokoll und Öffentlichkeitsarbeit; August 2024
Sowie auf: Norbert Schloßmacher: Stolpersteine 2012. In: Godesberger Heimatblätter Bd. 50, 2012, S. 239-245
Weitere Informationen: 
https://gedenkstaette.bonn.de/ 
www.stolpersteine.com

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine. Anm. 4+5 abgerufen am 13.09.2024: Andreas Nefzger: Der Spurenleger. In: FAZ.net.7. Februar 2014, abgerufen am 16.Dezember 2014.
[2] Schloßmacher, S. 241
[3] Schloßmacher, S. 241, Anm. 11.

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